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Goldene Schallplatten à gogo

Beitrag von René Alder aus den St.Galler Nachrichten

Es ist eine Zeitreise der besonderen Art: Im Rock- & Pop-Museum in Niederbüren kommen Musikfreunde ausgiebig auf ihre Rechnung. Roland Grossenbacher alias «Tschiibii» hat auch nach der 1070. (!) Führung den Schalk im Nacken und groovt bei allen Stationen mit. 80 Jahre Musikgeschichte in zweieinhalb Stunden – Tschiibii hat für (fast) jeden die musikalische Antwort parat.

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Wenn Sie W.C. Handy hören, denken Sie an zwei falsche Begriffe , denn der «Father of the Blues» nennt sich so. Kannten Sie noch nicht? Macht nichts – Tschiibii weiss Rat. Er hat eine Menge Kohle in sein Herzblut-Projekt investiert, seine Kollegen hielten ihn anfangs für einen Wahnsinnigen. Doch Tschiibiis Beharrlichkeit hat sich gelohnt. Schon das Entree ist ein echtes Schmankerl, tausende Stunden Arbeit haben ein absolut einzigartiges Museum kreiert, das nicht nur national seinesgleichen sucht. Man fühlt sich also schon beim Eingang selber wie ein Rockstar – gleich dahinter erwarten einen die legendären «Blues Brothers» in Lebensgrösse. Die Coolness von John Belushi und Dan Akroyd sind bis heute legendär – genau wie ihre Auftritte. Und dann geht die Reise los. Tschiibii ist mit seinem i-pad «bewaffnet» unterwegs und ist in der Lage, auf sein jeweiliges Publikum einzugehen. Kommen Nerds und Freaks daher, kann er aus dem versierten Nähkästchen plaudern; kommt eine Party-Gruppe vorbei, darfs auch mal ein Disco-Heuler sein. Es gibt beim Musikfanatiker aber auch Grenzen: Der lokale Ableger des Roland-Kaiser-Fanclubs darf einen Bogen um das Museum machen, denn damit kann Tschiibiii nicht dienen. «Rock und Pop» passt deshalb und umreisst das hochinteressante und oft auch exklusive Programm. Ein einziger Händler hat das Vertrauen von Tschiibii. Im Zeitalter des Online-Bescheissens legt er Wert auf Originale. Die ganzen Räumlichkeiten sind mit Gold- und Platinauszeichnungen der Künstler gepflastert, man würde einige am liebsten gleich mitnehmen. Briefe, Originalunterschriften und seltene Pressungen findet man ebenso wie vergessene Juwelen – das kann man wörtlich nehmen, «Jewel» war eine fantastische Künstlerin in den neunziger Jahren, die aus unerfindlichen Gründen nie ganz durchstartete. Tschiibii und der Schreiber schütteln beide den Kopf ob so viel Ignoranz. Und es wird einem bewusst, wie schnell auch die temporären Stars vergessen werden können.

 

Die alte Schule

Eingangshalle

Es gibt viele 68-er, die mittlerweile zum Abbild dessen geworden sind, was sie damals anprangerten. Tschiibii hat den Hippie-Charakter behalten, «E guets git e guets» ist seine Devise. Ohne seine Frau Uschy wäre das alles nicht möglich, sie hat ihm immer den Rücken gestärkt und ihn manchmal auch etwas gebremst, wenn er mal zu euphorisch wurde. Der klassische Rückhalt, ohne den es nicht geht. Und auch sie ist ein Musikfreak geworden. Die beiden haben eine echte Trouvaille errichtet, die sogar Regierungsrat Martin Klöti begeistert hat. Auf Konzerte geht Tschiibii nicht so oft und ausserdem gilt: «Je grösser die Halle, desto schlechter der Sound», macht er auf akustische Defizite aufmerksam. Und: «Frauengruppen reagieren ganz anders, als wenn ein Mann dabei ist», macht er auf einen immer wieder beobachtbaren Punkt aufmerksam. Wehe, wenn sie losgelassen!

Dann geht die Ohrenschmeichlerei individualisiert los, etwa mit einer speziellen Version des Otis Redding-Hits «Sitting on the dock of the bay», das in einer einzigartigen Kollaboration von Musikern aus aller Welt gespielt wird. Und dann kommt der erste Hammer: Sister Rosetta Tharpe. Wer hätte gedacht, dass eigentlich eine Nonne den Rock'n'Roll erfunden hat? Sie begleitete sich selber auf der Gitarre, teilweise im Slide-Guitar-Stil. Jazz, Blues, Rock'n'Roll – und das zu einer Zeit, in der ihre fantastischen Gitarrensoli wahrscheinlich von vielen als Teufelszeug angesehen wurden. Es sind Geschichten wie diese, die sich durch die ganze Führung durchziehen. Man erfährt garantiert Neues, auch wenn man meint, dass man schon vieles weiss. Die auf Wunsch an jedem beliebigen Wochentag abgehaltenen Führungen dauern zweieinhalb bis vier Stunden und bringen den Besuchern in Wort, Bild und Ton rund 80 Jahre Musikgeschichte auf höchst kurzweilige Weise näher. Man findet das Museum etwa drei Kilometer ausserhalb von Niederbüren, Richtung Bischofszell - Eingabe ins Navi: Sorental bei Hauptwil/Waldkirch. Jeden ersten Samstag im Monat (ausser Januar und August) ist das Museum zur freien Besichtigung geöffnet und der Eintritt ist frei. Ansonsten gibt es definitiv «Value for money». Ums Geld geht es Tschiibii nicht. Alle Infos sind unter www.rockpopmuseum.ch zu finden.

 

Besuch lohnt sich

Alle 45 Platten der Beatles, die in Amerika erschienen sind, sind in Platin- oder Gold-Version vorhanden. Auch Fans der «Fab four» sollten also nach Niederbüren pilgern. Wie alle anderen Musikfans auch. Hier spielt die Musik – als Tschiibii dem Schreibenden einen Wunsch erfüllt und die beiden «Heart»-Schwestern Ann und Nancy Wilson mit einer fantastischen Version von «Stairway to heaven» von Led Zeppelin zeigt, sind beide Anwesenden fünf Minuten ruhig. Let the music do the talking. Der berühmte «27-er Club» wird auch speziell gewürdigt. Tschiibii redet auch von den gebrochenen Existenzen, er ist von deren Biografien fasziniert. Wer mit Rock und Pop auch nur ansatzweise etwas anfangen kann, muss nach Niederbüren fahren. 80 Jahre Musikgeschichte in einer einzigartigen Sammlung zusammengefasst.

Und Tschiibii groovt weiter. Auf weitere tausend Führungen.

Von René Alder

Beitrag vom:
24. Juli 2018